Ein Großmeisterrepertoire gegen die Slawische Verteidigung - Teil 1 Klassisches Slawisch
1.d4 d5 c4 c6
Die Slawische Verteidigung gehört zu den sichersten Antworten auf 1.d4. Schwarz setzt auf eine stabile Bauernkette, die von b7 über d5 bis nach f7 reicht.
Grundsätzlich möchte Schwarz auch seinen weißfeldrigen Läufer außerhalb der Bauernkette auf f5 oder g4 positionieren, damit er von dieser nicht eingeschränkt wird, und Druck aufs weiße Zentrum ausüben kann. Andererseits hat Schwarz relativ wenig Ambitionen, wie in anderen Eröffnungen üblich, bereits früh die weiße Vormachtstellung im Zentrum mit Bauernvorstößen wie c5 und e5 anzufechten. Daher hat Weiß in der Regel in den ersten 5-15 Zügen etwas mehr vom Spiel.
Sobald Schwarz hinter seiner b7-d5-f7 Bauernkette die Entwicklung vollständig abgeschlossen hat, steht er allerdings hervorragend, um den Kampf ums Zentrum aufzunehmen. Deshalb muss Weiß seinen temporären Raumvorteil (und natürlich seinen Anzugsvorteil) nutzen, wenn er Schwarz vor Probleme stellen möchte.
Weiß hat viele Systeme zur Auswahl, um den schwarzen Aufbau zu bekämpfen. Dies sind die vier meistgespielten:
1) Abtauschvariante: 3.cxd5
2) 3.Nc3 Nf6 4.e3, was die Meraner Variante zulässt
3) Langsamer Aufbau: 3.Nf3 Nf6 4.e3 oder 4.Qb3/Qc2
4) Direktes Vorgehen: 3.Nf3 Nf6 4.Nc3
3.Nf3 Nf6 4.Nc3
Indem er beide Springer auf ihre natürlichen Felder entwickelt, bleibt Weiß für den Moment flexibel. Im Gegensatz zu den Optionen 2 und 3 hat Weiß vorläufig auf e2-e3 verzichtet, wodurch es in einigen Varianten möglich ist, den schwarzfeldrigen Läufer auf der Diagonalen c1-h6 aktiv zu entwickeln.
An diesem Punkt muss Schwarz sich auf einen Plan festlegen. Idealerweise möchte er seinen weißfeldrigen Läufer nach f5 entwickeln, aber das funktioniert an dieser Stelle nicht gut wegen 4...Lf5 5.cxd5 cxd5 6.Db3, mit Doppelangriff gegen b7 und d5.
Die wichtigsten Züge sind daher:
1) 4...dxc4 - die Klassische Slawische Verteidigung
2) 4...e6 - Halbslawisch
3) 4...a6 - die Chebanenko-Variante der Slawischen Verteidigung
Diese Datenbank beschäftigt sich mit der ersten Option, 4...dxc4.
Das direkte Vorgehen mit 3.Sf3 und 4.Sc3 hat nur einen Nachteil: Der Bauer c4 bleibt ungedeckt. Im Klassischen Slawen nutzt Schwarz diesen Umstand sofort aus. Nach dem Schlagen droht Schwarz, den Bauern mit b7-b5 zu verteidigen, falls Weiß mit 5.e4 oder 5.e3 fortsetzt. Die Praxis hat gezeigt, dass Weiß dies besser nicht zulassen sollte.
5.a4
Die Alternativen sind 5.e4 b5 6.e5 Sd5 7.a4 und 5.e3 b5 6.a4 b4 7.Sa2 (oder 7.Sb1 La6) e6 8.Lxc4 Be7, mit spielbaren Stellungen, die Weiß aber objektiv keinen Vorteil bieten. Nachdem ihm der Zug b7-b5 verwehrt worden ist, tut Schwarz nun gut daran, seine Entwicklung fortzusetzen.
Bevor ich auf die verschiedenen Entwicklungsmöglichkeiten eingehe, möchte ich aber zunächst Bilanz ziehen. Schwarz hat durch das Nehmen auf c4 die Kontrolle des Feldes e4 aufgegeben, während Weiß aufgrund des Zuges a2-a4 das Feld b4 dauerhaft geschwächt hat. Damit sind beide Seiten kleine Konzessionen eingegangen.
Da Schwarz nicht mehr das Feld e4 kontrolliert, und Weiß nicht mehr über die Option Db3 verfügt, ist an dieser Stelle die logischste und auch meistgespielte Fortsetzung 5...Lf5.
Kapitel 1: Nebenvarianten für Schwarz im 5. Zug.
Die wichtigsten drei dieser Varianten sind:
5...Lg4
In der Vergangenheit war dieser provokative Zug als Alternative zu 5...Lf5 bei vielen sowjetrussischen GMs beliebt. Die Idee von 5...Lg4 ist, bei gleichzeitiger Entwicklung einer Figur die weiße Kontrolle über d4 zu mindern, und indirekt e2-e4 zu erschweren.
5...Na6
Hier strebt der Springer offensichtlich nach b4, statt wie üblich nach d7 entwickelt zu werden. Dabei handelt es sich zwar um ein gutes Feld, aber Weiß erhält die Gelegenheit, ungehindert das Zentrum mit e2-e4 zu besetzen.
5...a5
Diese selte Variante erfreute sich zuletzt einiger Beliebtheit, da sie zu soliden Slawisch-Stellungen mit wenig Theorie führt.
Kapitel 2: 5...e6 und 6...c5
Diese Hybridvariante (Schwarz versucht, in einen Stellungstyp des Angenommenen Damengambits überzuleiten) wurde zuerst in den 1930er Jahren gespielt, aber nicht weiter angerührt, nachdem Alexander Aljechin (unten im Bild) mit Weiß einige sehr überzeugende Siege produziert hatte. Im Jahr 2004 wurde sie von Vladimir Kramniks Analyseteam wiederbelebt, um im Weltmeisterschaftskampf gegen Peter Leko problemlos zu remisieren. Bald darauf gewann die Variante unter starken Spielern an Popularität.
Aljechin hielt 5...e6 für zweifelhaft wegen der weißen Möglichkeit 6.e4, aber heute verhalten sich diese Dinge nicht so einfach wie im Jahre 1935.
Die folgenden Kapitel befassen sich mit der Entwicklung des weißfeldrigen Läufers nach f5. Weiß verfügt nun über drei Optionen: 6.Se5, 6.Sh4 und 6.e3. Ich empfehle den Erstgenannten.
6.e3 ist ein langsamerer Zug, mit dem Ziel, die Entwicklung mit Lxc4 und 0-0 abzuschließen, und erst danach im Zentrum vorzugehen. Nach 6...e6 7.Lxc4 Lb4 8.0-0 0-0 kämpft Weiß in der Regel um das Feld e4, und erlangt mit 9.De2 Sbd7 10.e4 Lg6 offensichtlichen Raumvorteil. Die schwarze Stellung ist jedoch sehr solide und ohne Schwächen.
6.Sh4 ist eine interessante Alternative, aber weniger prinzipiell als die anderen beiden Züge. Schwarz hat nun die beiden Optionen 6...Lc8 7.e3 (7.e4 e5!) 7...Lg4!, was zu einer komplexen Stellung mit beiderseitigen Chancen führt, und 6...e6 7.Sxf5 exf5, wonach der Bauer f5 und die halboffene e-Linie ihm gute Zentrumskontrolle bieten.
Das hier empfohlene 6.Se5 verfolgt zwei Ziele: Den Bauern c4 mit dem Springer zu nehmen, und f3 und e4 (manchmal auch g3, Lg2) vorzubereiten, um Kontrolle über das wichtige Feld e4 zu gewinnen.
Schwarz hat nun zwei natürliche Züge: 6...Sbd7 und 6...e6. Außerdem ist 6...Sa6 eine ernstzunehmende Nebenvariante.
Kapitel 3: 5...Lf5 6.Se5 e6 7.f3 c5
Diese zurückhaltende Fortsetzung wurde in den Weltmeisterschaftskämpfen Topalov-Kramnik (2006) und Anand-Topalov (2010) getestet. Schwarz zeigt keinerlei Ambitionen, mehr als ein Remis zu erreichen, weswegen es eine recht typischen Wahl für ein WM-Match ist. Andererseits muss Weiß sehr genau spielen, wenn er sich Hoffnung auf mehr als einen halben Punkt machen möchte.
Kapitel 4: 5...Lf5 6.Se5 e6 7.f3 Lb4
Diese Variante geht auf den späten André Chéron zurück, einen berühmten Endspielkomponisten. Schwarz beabsichtigt, nach dem prinzipiellsten Zug von Weiß, 8.e4, eine Figur zu opfern. Die Theorie nach 8...Lxe4 9.fxe4 Sxe4 10.Ld2 Dxd4 ist gewaltig: Ich erinnere mich an eine Aussage von Alexander Khalifman, er hätte zwei Wochen damit zugebracht, nur ein Teilabspiel zu analysieren, und dort Ausgleich für Schwarz zu finden. Deshalb, und weil ich bezweifle, dass Weiß überhaupt bei korrektem schwarzen Spiel einen nennenswerten Vorteil erzielen kann - zumal die entstehenden Stellungen angesichts der schlecht koordinierten weißen Figuren meist leichter für Schwarz zu spielen sind, möchte ich an dieser Stelle einen weniger ausanalysierten Zug empfehlen: 8.Sxc4 0-0 9.Kf2!? Weiß hebt die Fesselung des Springers c3 auf, und droht nun, e2-e4 unter vorteilhaften Bedingungen durchzusetzen.
Kapitel 5: 5...Lf5 6.Se5, Nebenvarianten im 6.Zug
Die wichtigste Nebenvariante ist 6...Sa6.
Schwarz beabsichtigt hier, den Springer nach b4 zu entwickeln, und mit Ideen wie Sc2 und Lc2 zu arbeiten.
Kapitel 6: 6.Se5 Sbd7 7.Sxc4 Sb6
Diese flexible Variante führte lange Zeit ein Schattendasein, bevor Ivan Sokolov (unten im Bild) in den frühen 2000er Jahren einige interessante Ideen für Schwarz fand. Mit der Zeit entwickelte sie sich zu einer zuverlässigen Alternative zu 7...Dc7, und überbot diese zeitweise sogar an Popularität.
Kapitel 7: 5...Lf5 6.Se5 Sbd7 7.Sxc4, Nebenvarianten im 7.Zug
Neben der Hauptvariante 7...Dc7 hat Schwarz zwei seltene Alternativen. Die erste, 7...Sd5
, ist nicht wirklich schlecht, stellt aber andererseits Weiß auch nicht vor nennenswerte Schwierigkeiten.
7...e6 ist ziemlich passiv, und eignet sich hervorragend als Anschauungsmaterial, wie Weiß gegen anspruchslose schwarze Eröffnungsbehandlung Vorteil erzielt.
Kapitel 8: 5...Lf5 6.Se5 Nd7 7.Nxc4 Dc7 8.g3 e5 9.dxe5 Sxe5 10.Lf4 Sfd7 11.Lg2 f6
Der Zug 7...Dc7, der sich als Hauptvariante etabliert hat, stellt den Weißspieler wahrscheinlich vor die größten Herausforderungen.
Schwarz möchte sofort das weiße Zentrum mit e7-e5 aufbrechen. Nun sollte Weiß versuchen, die Stellung der Dame c7 zu seinem Vorteil zu nutzen: 8.g3 e5 9.dxe5 Sxe5 10.Lf4 Sfd7 11.Bg2.
Entstanden ist eine der wichtigsten Stellungen der Slawischen Verteidigung. Dieses Kapitel befasst sich mit dem älteren Zug 11...f6.
Kapitel 9: Nebenvarianten nach 5...Lf5 6.Se5 Nd7 7.Nxc4 Qc7 8.g3 e5 9.dxe5 Nxe5 10.Bf4
Die Varianten 8.g3 e5 9.dxe5 Nxe5 10.Bf4 Rd8 und 8.g3 e5 9.dxe5 Nxe5 10.Bf4 Nfd7 11.Bg2 Be6 (siehe Diagramm) sind spielbar, Weiß kann aber in beiden Fällen Vorteil erzielen.
Ein alter Zug. Schwarz möchte den Druck von e5 nehmen, ohne seinen Königsflügel mit f7-f6 zu schwächen.
Kapitel 10: 5...Lf5 6.Se5 Nd7 7.Nxc4 Dc7 8.g3 e5 9.dxe5 Sxe5 10.Lf4 Sfd7 11.Lg2 g5
Dies wird gegenwärtig als die kritische Variante im Klassischen Slawen betrachtet. Morozevichs Idee 11...g5
erzwingt den Tausch des starken schwarzfeldrigen Läufers, da 12.Lxg5 den Springer c4 verlieren würde. Nachdem der Läufer das Brett verlassen hat, beabsichtigt Schwarz, die schwarzen Felder zu dominieren, insbesondere b4, c5 und e5.
Diese Variante bereitete den Weißspielern im Laufe der Jahre einige Kopfschmerzen. Allerdings wurden mittlerweile Wege zu leichtem Vorteil gefunden. Dabei startet Weiß mit 12.Se3, was übrigens auch der Zug ist, den Kasparov spielte, als er erstmals 2001 gegen Morozevich (unten im Bild) dem Zug 11...g5!? begegnete.
Beispielpartie